Caché
Bilder einer Straße. Nichts Besonderes. Parkende Autos. Eine Frau tritt aus einer Haustür. Etwas später ein Mann. Man hört Stimmen. Alles ganz normal.
Mal wieder präsentiert uns der Österreicher Michael Haneke Gewalt an Plätzen, wo man sie vermutlich nicht erwarten würde. Diesmal ist es eine ruhige Wohngegend in Frankreich. Der Literat und TV-Talker George Laurent und seine Frau Anne (genial: Daniel Auteuil mit Juliette Binoche) bekommen Videos mit genau solchen Bildern vor ihre Haustür gelegt. Alles halb so wild, wären die Aufnahmen nicht von ihrem Haus und in verstörende Zeichnungen eingeewickelt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich nicht um einen wirren Fan des Fernsehmoderators handelt, sondern vermutlich um ein düsteres und längst abgeschlossenes Kapitel aus Georges Vergangenheit.
"Caché" ist wie ein normaler "Whodunnit?"-Thriller aufgebaut. Das klappt anfangs auch alles wunderbar. Hanekes gewohnt minimalsitsch subtiler Stil erzeugt ein beklemmendes Gefühl von anrückender, unbekannter, versteckter Gefahr, dass Thrillerfans voll auf ihre Kosten kommen, bis zum Ende. Hier könnte Haneke den ein oder anderen Zuschauer verärgern, denn hier wird nichts aufgeklärt und schon garnicht erklärt.
Kratzt man allerdings unter dieser oberflächlichen Thrillerfassade, um die es zu keiner Zeit des Films ging, entdeckt man Hanekes wahre Intention seines Werks. Die Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses auf verschiedenen Ebenen. Um dahinter kommen zu können bietet sich eine gewisse Vorkenntnis zum Algerienkrieg seitens des Zuschauers an, die aber nicht zwingend notwendig ist, werden doch alle "benötigten" Fakten im Verlauf des Films von Haneke eingestreut. Etwas "miträtseln" kann man also auch bei diesem Nicht-Thriller.
Georges eingangs angesprochene Konfrontation mit einem Kindheitstrauma entpuppt sich als Allegorie auf, Überraschung, Frankreichs Algerientrauma, von dem selbst bis dato nur unter vorgehaltener Hand gesprochenen wird. Frankreichs Narben davon zeichnen auch erste Spuren auf Georges und Annes Ehe, ebenso auf dem Verhältnis zum Sohn Pierrot.
Haneke geht jedoch noch einen Schritt weiter und ermahnt den westlichen Zuschauer zur Verantwortung auch nicht bzw. vor allem nicht vor aktuellen Geschehnissen die Augen zu verschließen, Stichwort Irak. Ein Video als Hilfsmittel scheint hier als Erinnerungsstütze gerade recht.
In dieser Verantwortung liegt allerdings auch mein Hauptkritikpunkt an "Caché". Haneke bezeichnet sich selbst als "Moralist", und lässt auch keine Gelegenheit aus, seine Moral dem Zuschauer ungeniert und löffelweise in den, von der Gewalt geschockten, offenen Mund zu schaufeln. Was bei "Funny Games" fast unerträglich aufdringlich war, geschieht in "Caché" aber wesentlich subtiler, so dass ich Hanekes Moral dieses Mal auch sehr gerne probiert, und sogar runtergeschluckt habe.